Messerschmied: Heisse Eisen anpacken

Wenn sich Eisen in messerscharfe Klingen verwandelt, ist Handwerk im Spiel – dem das Vergessen droht. Mike Graf über seinen Berufsstand, der sich buchstäblich in Rauch auflöst.

Sie sind seit fast 26 Jahren selbstständiger Messerschmied. Was weckte diesen Berufswunsch? Daran erinnere ich mich lebhaft, auch weil ich das Souvenir in einer Vitrine ausstelle: Als Zweitklässler stach mir auf einem Trödelmarkt in Frankreich ein perlmuttern schimmerndes Rasiermesser ins Auge. Weil es aussah wie jenes meines Grossvaters, wollte ich es haben. Ich ergatterte es für umgerechnet einen Franken – mir war nicht bewusst, dass es sich um eine Trouvaille handelte. Ich fühlte mich unmittelbar als Mann, noch ohne Bartwuchs. (lacht)

Inwiefern sind Schmieden und schmutzige Hände «Männersache»? Männer tragen gewiss ein «Messer-Gen» in sich, zumal Schmieden zu den ältesten Handwerken der Menschheitsgeschichte zählt. Jedoch holen die Frauen auf, sie machen heute bereits einen Drittel meiner Kundschaft aus. Schliesslich haben sie eine hohe Affinität zu Design und Ästhetik. Messer ist Messer, könnte man meinen. Warum verleidet Ihnen das Schmieden nicht? Da jedes Messer ein Unikat ist, mache ich nie zweimal dasselbe. Kaum ist ein Einzelstück vollendet, brenne ich darauf, das nächste noch besser und schöner anzufertigen. Nach all der Zeit hat sich mein eigener Stil ausgeprägt, mein Markenzeichen am Klingenrücken fällt auf. Sie sind kürzlich umgezogen. Welche Veränderungen bringt das mit sich? Jahrelang habe ich nach geeigneten Räumlichkeiten gesucht und sie ironischerweise gleich um die Ecke gefunden, sogar die Adresse bleibt gleich. Den Schleifservice habe ich aufgegeben, zugunsten von Eigenkreationen und Workshops. Zuvor musste ich so manche Anfrage von Gruppen ablehnen, damit ist nun Schluss. Warum sind Schmiedekurse gefragter denn je? In einer zusehends leistungs- und denkorientierten Gesellschaft lodert in vielen der Wunsch nach körperlicher Arbeit. Viele schätzen es, ein klar definiertes Tagesziel zu verfolgen und nicht nur zu sehen, was sie geleistet haben, sondern es auch zu spüren – in Form von Rückenschmerzen oder Blasen an den Fingern. (schmunzelt) In welcher Hinsicht hat sich der Beruf verändert, seit Sie diesen erlernt haben? Machart und Werkzeuge sind im Grunde dieselben. Verändert haben sich hingegen die Menschen und ihre Wertschätzung gegenüber dem Kunsthandwerk. Grosshändler überschwemmen den Markt mit Billigware. Ich bewege mich jedoch in einer Nische, die Leute anspricht, die differenzieren und verstehen, warum in meinen Messern bis zu drei Tage Arbeit steckt. Es liegt mir am Herzen, dieses historische Schmiedewissen zu erhalten.


Extravaganter «Graf»: Originelle Formen und Materialien wie Perlmutt, Edel­steine oder Hölzer machen die Handschrift von Mike Graf aus.

Ein frommer Wunsch, zumal es an Nachwuchs mangelt? Das kann man so nicht sagen. Fast täglich beantworte ich Anfragen von jungen Menschen, die Interesse am Schmiedeberuf bekunden. Feuer, Funken – das Archaische begeistert Jugendliche. Das Problem sind die fehlenden Lehrstellen, eine Zwickmühle! Wie fühlt es sich an, dass Ihre Zunft wohl ausstirbt? Natürlich ist das bedenklich, aber eine Zeiterscheinung. Es bleibt, auf Quereinsteiger zu hoffen, die sich das Handwerk in Kursen, vielleicht im benachbarten Ausland, aneignen. Wie könnte man die Kohlen aus dem Feuer holen und das verhindern? Aktuell dauert die Messerschmiedelehre vier Jahre, was für Kleinbetriebe kaum zu stemmen ist. Anders sähe es aus, wenn es eine Grundausbildung gäbe mit anschliessender Spezialisierung auf Messer. Somit würden die Lernenden bereits nützliche Kenntnisse mitbringen und die Lehrzeit in der Messerschmiede wäre kürzer. So wäre das Ausbilden auch machbar für kleine Manufakturen – wie meine. Ob man das System rechtzeitig reformiert, ehe der letzte Messermeister seinen Wissensschatz mit ins Grab nimmt, wage ich zu bezweifeln. Alte Schule an neuem Standort: Die neue Werkstatt bietet Platz für Rasierevents oder Schmiedekurse mit bis zu 25 Personen. Messerschmiede Graf, Schulhausgasse 3, Münsingen


Zurück zum Blog

Hinterlasse einen Kommentar