Für noble Nomadinnen ohne Zelt

Noële Nana Schaffner brach ihre sicheren Zelte ab, um zu verwirklichen, was sie schon als Mädchen anstrebte: Sie ist ihre eigene Chefin und prägt mit ihrem Fashion-Start-up den Begriff des «positiven Luxus».

«Glücklich machte mich in meiner früheren Position nicht, möglichst viel Geld zu verdienen, vielmehr aber, Sinn zu stiften», sagt Noële Nana Schaffner. Sie sitzt im beigen Polstersessel in ihrem Zürcher Showroom, der Spiegel hinter ihr reflektiert ihre akkuraten Designs. Ihre Aussage ist nicht etwa hypothetisch, sondern handfest: Um zu verwirklichen, wovon sie träumt, brach sie ihre sicher verankerten Zelte ab. Sie liess ihre Führungsposition in einem multinationalen Unternehmen hinter sich und zog mit Sack und Pack nach New York, um Modedesign zu studieren. Viele bewunderten sie für ihren Mut, andere wunderten sich. Doch sei ihr Antrieb stets gewesen, etwas zu bewegen. Schloss sich ihr Wirkungskreis, begehrte sie, weiterzuzuziehen. … einfach weiterziehen, wie es die Nomadinnen und Nomaden tun. «Eigentlich träumte ich schon zu Schulzeiten davon, Modedesignerin zu werden, doch mangelte es mir an vermeintlich vorausgesetztem Zeichentalent, deshalb verwarf ich diese Idee. Ich machte verschiedenste andere Dinge, fühlte mich aber nirgends richtig zu Hause.»

Selbst war sie es gewohnt, nicht an einem festen Ort zu bleiben: Ihre zahlreichen Geschäfts­reisen zündeten vor rund sechs Jahren die Idee, eine modulare Garderobe für Kosmopolitinnen zu kreieren, die unterwegs daheim sind und sich über Kontinente und Zeitzonen hinwegsetzen. Mit ihrem 2020 lancierten Label «Nomadissem», abgeleitet vom rätoroma­nischen Wort für «Nomadentum», will sie Transparenz im Trubel bieten: Ihre saison­unabhängigen Kollektionen, die aufeinander aufbauen, sind intuitiv kombinierbar, damit selbst in der Abreisehektik in den Koffer gepackte Key-Pieces abgestimmte Looks ergeben.


Weltumspannend und hyperlokal

«Mode sollte nicht kompliziert, sondern vielseitig sein», beschreibt sie ihre Überzeugung der Simplizität – und davon, dass Kleidung nicht nur lange schön bleiben, sondern mit der Zeit besser werden sollte, wie erlesene Weine oder visionäre Ideen. Von letzteren hat sie mehr als einen Rucksack voll: Sie will die Couture aufleben lassen, deren Qualität in den letzten Jahrzehnten durch Schnelllebigkeit, ausser Kontrolle geratene Modezyklen und Globali­sierung an Güte eingebüsst hat. «Es ist ein Mythos, dass Fast Fashion zu einem schnell­lebigen Lebensstil passt», findet die gebürtige Zürcherin. Zu oft gehe es beim Kaufentscheid einzig um den Style, nicht aber um die Materialien oder die Verarbeitung, geschweige denn um die Nachhaltigkeit. Diese ist die Substanz von «Nomadissem»: Die Denkweise der Designerin ist diesbezüglich alles andere als «nomadisch», sondern festsitzend in jeder Faser. Die feinsten Naturmaterialien für ihre Mäntel, Blazer, Tops und Hosen stammen aus Nachbarsländern: Sie erliest die Stoffe direkt bei zertifizierten Lieferanten und nicht über Dritte, um die Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten. Da sie keinen Modebackground hatte, baute sie ihr Netzwerk nach und nach selbst auf und hält nun alle Fäden selbst in den Händen, nur so sei es möglich, die angestrebte Transparenz in jedem Teilschritt zu schaffen, weil «Vertrauen durch Klarheit» wachse. Kleine Manufakturen in Italien, bevorzugt von Frauen geführt, fertigen die Kleinserien nach allen Regeln der Schneiderkunst.

Brauchen über Begehren

Sie zieht es vor, einzelne Entwürfe durchzudenken, anstatt wahllos Skizzen anzufertigen. Sie folgt der Fragestellung, was die Nomadin der Neuzeit wirklich braucht, nur so schaffe sie einen Mehrwert: «Jedes Stück der Kollektion erfüllt eine Aufgabe.» Zum Beispiel die Aufgabe, sich komfortabel anzufühlen, selbst wenn man von Ort zu Ort zieht, und möge der eine Ort der Meetingraum und der andere die Cocktailbar sein. Oder mit Reissverschlüssen und sturmfesten Membranen für Bewegungsfreiheit zu sorgen, die es erlaubt, die (Alltags-)Gipfel gelassen zu erklimmen.

Die Gipfel haben es auch Noële Nana Schaffner angetan – sie schätzt es seit Kindesbeinen, in der Bergwelt durchzuatmen und hat kürzlich ihren ersten Viertausender bestiegen. Nicht zuletzt das schärft ihr Umweltbewusstsein, weil sie die Auswirkungen des Klimawandels mit dem Geist einer Forscherin selbst beobachtet. «Wäre ich in einer anderen Zeit ­geboren, wäre ich Entdeckerin geworden» – sinniert eine, die Weltenbummlerinnen ein modisches zu Hause gibt.



1 | Dem Leben einen Sinn geben, mit dem Mut weiter-zumachen: Die fünfte Kollektion von «Nomadissem» ist inspiriert vom japanischen Konzept des «Ikigai». 2 | Smart bei Tag, sophisticated bei Nacht: Vorne und hinten geschlitztes «Hinomaru»-Miederkleid aus zertifizierter, italienischer Sommerwolle mit Lurex. 3 | Business as (un-)usual: Hose und Blazer «Oceanco» aus zertifizierter, italienischer Seersuckerwolle in Metallic-Optik ergeben einen leichten, lässigen Look für den Frühling und Sommer. 4 | Couture mit Schnipp: Der «Kodawari»-Blazer aus Baumwoll-Leinen-Sommerwolle-Mischung, mit passender Hose, ist eine schwerelose Sommerversion des zweireihigen Modells im Boyfriend-Schnitt.

5 | Modular à la mode: Der Mantel «Hinoki» aus gewachstem, wasserdichten Baumwollstoff passt sich der (Wetter-)Situation an, da er sich dank einem abnehmbaren unteren Einsatz in eine Jacke verwandelt.

Selbst eine Teilzeitnomadin: In Zürich ist Noële Nana Schaffner ein Stück weit sesshaft geworden – ein guter Ausgangspunkt, um ihre Geschäftsbeziehungen in Europa zu pflegen und in die Berge zu gelangen.

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