In den Fängen des schwarzen Hundes

Jürg Frey hat mit seinem Debütroman «Charlotte» ein feinfühliges und bewegendes Werk geschaffen über den beschwerlichen Weg aus der Krise: über die Befreiung aus den Klauen des schwarzen Hundes – wie der Protagonist seine Depression beschreibt.


Jürg Frey beginnt sein Buch am Ende. Nach dem plötzlichen Unfalltod des Protagonisten Jonas beginnt seine Tochter damit, seine Tagebücher zu lesen, und wird zurücktransportiert in eine Zeit, als es ihrem Vater zunehmend schlechter ging und er immer stärker in die Depression fiel. Gerade mit diesen Tagebucheinträgen schafft der Autor eine aufwühlende Nähe zwischen den Leser:innen und Jonas. So ist es zeitweise schwer ertragbar, zu lesen, wie sich Jonas’ psychischer Zustand stetig verschlechtert, bis er schliesslich den schlimmsten Punkt seiner depressiven Episode erreicht. Das Buch gibt dadurch aber auch einen Einblick, wie es ist, mit Depressionen zu leben. Eine Krankheit, die aufgrund ihrer Unsichtbarkeit bei vielen leider immer noch auf Unverständnis stösst. Der Autor schildert die aufreibenden inneren Kämpfe und zeigt auf, wie viel Kraft und Zeit es braucht, um sich von einer Depression zu befreien.


Ein starker Mitauslöser für Jonas’ Depression sind der grosse Stress und die ständigen Machtspiele, denen er bei seiner Arbeit ausgesetzt ist. Hinzu kommt der Druck, ein guter Vater und Ehemann zu sein, der seiner Familie etwas bieten kann. In seinem Roman zeigt Jürg Frey, welch verheerende Folgen diese gesellschaftlichen Ideale von Erfolg und Männlichkeit haben können. Die Leser:innen erkennen, wie gefährlich es sein kann, für diese Ziele alles und damit auch sich selbst zu opfern. Jonas’ Geschichte veranschaulicht auch, wie schwierig es ist, sich aus diesem Teufelskreis zu befreien. Besonders für Männer, von denen leider noch zu oft erwartet wird, dass sie keine Emotionen zeigen. Umso wichtiger ist es, psychische Krankheiten zu enttabuisieren und es Betroffenen leichter zu machen, sich Hilfe zu holen.


Nachdem wir zu Beginn miterleben, wie sich Jonas’ Zustand immer stärker verschlechtert, folgt schliesslich der Eintritt in die psychiatrische Klinik. Der Autor ist sich bewusst, dass die Psychiatrie, noch stärker als das Spital, viele Menschen überfordert. So bietet er einen realistischen Einblick in den Alltag in einer psychiatrischen Klinik mit all ihren guten wie schlechten Seiten. Dabei bewegt er sich fernab von den vorherrschenden Klischees.

Auch der letzte Teil des Buches ist sehr berührend, als sich Jonas’ Tochter mit ihrer Mutter darüber unterhält, wie diese Zeit für sie war. Diese Perspektive ist umso bereichernder, als die Angehörigen in solchen Situationen oft wenig beachtet werden. Während es offensichtlich äusserst wichtig ist, in solchen Situation für die depressive Person da zu sein und sie zu unterstützen, sollten Angehörige in dieser Zeit auch ihrer eigenen Psyche Sorge tragen und wenn nötig ein:e Psycholog:in aufsuchen.


Und doch schliesst das Buch mit einer hoffnungsvollen Note: Es zeigt, wie Jonas zurück zu sich selbst findet und seine Freude am Leben zurückgewinnt.

Ressourcen für Betroffene und Angehörige: www.reden-kann-retten.ch


Charlotte

Der Blick der abgebildeten Frau geht am Betrachter vorbei und über den Bildrand hinaus. Sie steht sinnbildlich für das Leben von Jonas Nordmann, das vorwärtsgerichtet dem Schicksal wenig abgewinnen kann.

(Fr. 29.–). mis-magazin.ch/shop


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